Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Ja, ich bin einer der Menschen, die permanent behaupten, früher wäre alles besser gewesen. Selbstkritisch, wie jeder sein sollte, beginne ich zu hinterfragen, ob dem wirklich so ist.
War früher wirklich alles besser? Wie selbstverständlich habe ich dieses geflügelte Wortspiel von meinem Großvater, Mutter und allen anderen älteren Mitmenschen übernommen. Alle schwärmten ausgiebig von „damals“, den goldenen Zeiten. Das Essen war besser, die Arbeit war besser, die Ärzte waren besser und so weiter.Je älter man wird, umso öfter ertappt man sich dabei selbst dabei, diesem Glauben zu verfallen. Ist es vielleicht eine kollektive Selbsttäuschung? Nur ganz wenige streiten vehement ab, dass es früher besser war. Sind das von den Medien verblendete, künstlich in ihrem Denken eingeschränkte Mitmenschen? Oder sind es die echten Durchblicker, die von oben herab auf die ewig Gestrigen schauen?
Ich bin nicht ganz sicher, was wahr und was falsch sein könnte und auf welcher Seite ich stehe.
Deutsche Mark
Beispielsweise die gute alte Deutsche Mark. Einst Symbol für Zuverlässigkeit und Beständigkeit, härter als jeder Ami-Dollar – heute nur noch in der Erinnerung der langsam senil werdenden Alten, wie mich, vorhanden. Ich meine, in der „guten alten Zeit“, für alles weniger bezahlt und mehr bekommen zu haben. Sicherlich kann ich mich täuschen, aber ich denke, ich habe für Benzin 0,80 oder 0,90 Deutsche Mark pro Liter bezahlt. Aber Benzin ist ja nicht teurer geworden, oder? Für mich klingt umgerechnet und gerundet 2,60 DM wesentlich mehr! Quasi, das dreifache. Es kann aber auch sein, dass mir einfach der Intellekt fehlt, den komplizierten Rechnungen der Wirtschaftsstatistiker zu folgen. Ich bin sicher, wenn ich meinen früheren Verdienst als Vergleich heranziehe, heute nicht das dreifache zu verdienen. Früher war alles besser!
Speisen und Getränke
Speisen und Getränke sollen ja heutzutage billig wie nie sein. Stimmt, ein großes Glas Cola kostet ja nur Euro 2,20 in der Kneipe. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit habe ich früher nie 4,40 Deutsche Mark für ein Glas Cola bezahlt. Eventuell in irgendwelchen ominösen Edeldiskotheken, aber niemals in der Kneipe. Gefühlt waren es damals 1,60 Deutsche Mark, die für ein Glas der Brause fällig wurden. Früher war alles besser!
Zwei Klassen Medizin?
Was ist mit der Medizin? Damals hatte man doch nicht die Möglichkeiten wie heute, oder?
Zweifelsohne hat dort die Forschung einen Riesenschritt gemacht. Unglaublich, was alles möglich ist. Herzen werden verpflanzt, Nieren, Augen, sogar Gesichter. Doch was bedeutet das für den „normalen“ Kranken? Hat er heute bessere Möglichkeiten als früher? Ich denke nein! Die meisten Medikamente sind keine Neuentwicklungen, sondern nur Weiterentwicklungen der alten Präparate. Die in den letzten 20 Jahren wirklich neu gefundenen Wirkstoffe, sind so selten geworden, wie eine Autobahn ohne Stau. Es gibt heute mehr produzierende Pharmaunternehmen als früher. Es drängt sich die Frage auf, ob dadurch die Medikamente generell besser geworden sind? Oder die Behandlung durch Ärzte? Ich denke nicht! Um in den Genuss der besseren Behandlungsmethoden zu gelangen, muss man in der heutigen Zeit Privatpatient sein. Es gibt ganz klar eine Zwei-Klassen-Medizin. Wer das noch nicht erkannt hat, der tut mir leid. Es fängt bei der Warteschlange im Wartezimmer an: Mit einem überheblichen Lächeln schreitet der Privatpatient an der langen Schlange an der Anmeldung vorbei und wird sofort und umfassend behandelt. Kommt man selbst in die geheiligten Behandlungsräume, hat der Arzt gleich eine Tabelle vor seinem inneren Auge! Patientengespräch privat: 80 Euro, Kassenpatient: 20 Euro! Es stellt sich gar nicht die Frage, wo die Motivation größer, ist eine Heilung herbeizuführen. Der breiten Masse steht lediglich die Regelleistung zur Verfügung und die ist lange nicht mehr so umfassend wie vor 20 oder 30 Jahren. Ein schlauer Mensch (ich weiß leider nicht mehr wer) hat einst gesagt: Zeige mir deine Zähne und ich sage dir wer du bist (oder so ähnlich). Welcher „Normal“-Verdiener mit einem Einkommen von 1200 bis 1300 Euro kann es sich leisten, mal eben eine Krone für 500 Euro Selbstkostenanteil einsetzen zu lassen? Sicherlich kann er auch eine Goldkrone für 250 nehmen. Hat ein Otto-Normal-Bürger einen geringeren Anspruch an Ästhetik? Früher wurden auch Medikamente für Erkältungen und sonstige Bagatell-Krankheiten verschrieben und es wurde lediglich die Rezeptgebühr fällig. Heute wird der Arzt nur wegen der nötigen Krankschreibung konsultiert und die Medikamente (die damals wie heute, nur eine geringe Linderung herbeiführen konnten) gehen voll zu Lasten des schon arg gebeutelten Patienten. Was ich allerdings viel schlimmer finde, ist die Mentalität vieler Mediziner: Sie behandeln nach dem „Trial-and-Error“ Prinzip. Anstatt durch eine differenzierte Diagnose den Kranken direkt zu helfen, heißt es immer: Probieren wir mal das und das und das und wenn das nicht hilft, dann dies oder jenes. Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wann ein Arzt zu mir gesagt hat: Sie haben Krankheit x-y. Das war (glaube ich) damals nicht so, der Arzt untersuchte den Patienten und stellte eine Diagnose und behandelte entsprechend. Er gestand sich auch ein: „Ich hab keine Ahnung, was Ihnen fehlt“. Heute ist es so, dass die Ärzte lieber eine falsche Verlegenheitsdiagnose stellen, anstatt keiner. Es ist wichtiger, dem Patienten gegenüber kompetent zu erscheinen, als es wirklich zu sein. Früher war alles besser.
Schlaue Verkehrsplaner
Verkehr? Heute haben schlaue Verkehrsplaner (allesamt studierte und hochbezahlte Diplom-Träger) den Verkehr analysiert und in neue Bahnen gelenkt. Trotzdem stehe ich heute an Stellen im Stau, an denen ich früher bequem im dritten Gang durchgefahren bin. Natürlich liegt das am höheren Verkehrsaufkommen, aber ist das ein Fortschritt, wenn immer mehr Menschen, in immer besseren Autos im Stau stehen? Ich denke nicht. Früher konnte man fahren, heute steht man bequem. Früher war alles besser.
Anerkennung und leistungsgerechte Bezahlung
Anerkennung und leistungsgerechte Bezahlung? Wer damals viel arbeitete, bekam viel Geld und Anerkennung für seine erbrachten Leistungen. Heute wird in vielen Firmen nicht mehr der Output der Mitarbeiter bewertet, sondern der Input, welcher nötig ist, um diesen Mitarbeiter zu beschäftigen. Wer viel fragt, der erscheint schnell unbequem. Ein Mitarbeiter, der sich Gedanken macht und erst alle Informationen sammelt, ist schnell als Querdenker verschrien. Mitarbeiter, die nicht fragen und alle Aufgaben mehrfach erledigen müssen, werden als fleißig wahrgenommen. Sie absolvieren Überstunden, wirken permanent beschäftigt und verschanzen sich hinter aufgetürmten Papierbergen. In der guten alten Zeit, machte man sich Gedanken, erledigte seine Arbeit und ging nach Hause. Man verließ seinen Arbeitsplatz mit aufgeräumten Schreibtisch. Heute hat man selbstverursachten Stress, Mobbing und Burnout. Früher war alles besser.
Unsere Diplom-Ingenieure sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Benötigt man eine Lösung für ein technisches Problem, bekommt man nur zu hören, wie schwierig das sei. Stundenlang wird lamentiert, wie komplex diese Thematik ist und dass dort noch interdisziplinärer Klärungsbedarf besteht. Beispiel aus der Praxis: Ein Dipl.-Ing., mit Schwerpunkt Holzverarbeitung und einer mit Schwerpunkt Metall, sollen einen Spaten zusammen bauen. Leider scheitert das Unterfangen am fehlenden Dipl.-Ing. für Verbindungstechnik. Ein Großteil der Hochschulabsolventen ist nicht in der Lage, seine Gedanken in Worte zu fassen und diese dann schriftlich wiederzugeben (ich kann es auch nicht, aber ich habe ja auch nur eine Hauptschule besucht). Vorbei sind die Zeiten großer Konstrukteure, wie Wernher von Braun oder Otto Hahn, Gottlieb Daimler. Heute sitzen zig junge Nachwuchs-Ingenieure vor den uralt Triebwerken der Saturn V und versuchen ein funktionierendes Trägerkonzept namens Constellation aus Altmetall abzuleiten, um dem Mond erneut einen Besuch abzustatten. Entweder waren die Leute früher schlauer oder aber die Ausbildung besser, eventuell war es auch nur die Einstellung zu dem, was man getan hat? Früher war alles besser.
Fazit: Rente, Politik, Wetter und was weiß der Geier noch – aus dem Thema könnte man eine Serie machen. Mir fallen auf Anhieb noch hunderte Beispiele ein. Wobei ich zugeben muss: Computer sind wirklich besser geworden. Ob der Nutzen wirklich höher als früher ist, wage ich dennoch zu bezweifeln. Selbstverständlich stellt sich auch die Frage, ob sich die Wahrnehmung verändert hat. Mit steigender Lebenserfahrung stellen sich viele Dinge heute komplizierter als in der Jugend dar. Ohne Lebenserfahrung sind Dinge wie sie sind und werden deshalb mangels fehlender Vergleichsmöglichkeiten als gut wahrgenommen. Früher hat man das Auto vollgetankt und ist stundenlang sinnlos durch die Gegend gefahren. Heute fehlt die Zeit und man hat andere Prioritäten. Man ist gefahren, um zu fahren. Just for fun. Heute ist das Auto nur noch Mittel zum Zweck, kostet Geld und Zeit. Früher ging man mit Masern oder Windpocken zum Arzt und diese verschwanden nach einer oder zwei Wochen. Heute hat man Bandscheibenvorfälle oder andere langwierige Erkrankungen, also denkt man: Ärzte sind schlechter? Tja, lange Rede kurzer Sinn: Früher war man jünger, wusste nicht, was man tut und das war doch besser, oder?
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